Die Parteien und die Pflege

September 22, 2017

Kurz vor Schluss des Werbens um Wähler entdecken die Parteien ein  Thema, mit welchem sie noch punkten wollen. Die Argumentation ist unerträglich, die  Wortfindungen in den Talkshows der Fernsehsender ebenso.

Wie geht man mit solch einem sensiblen Thema um, wie lässt man die Sorgen und Nöte von Betroffenen und Angehörigen zu Wahlkampfmunition werden?  In dem man sehr laut und dann durch Pulverdampf gedeckt, ins Leere schießt.

Die Parteien, die, so unerwartet die Pflege als Last Minute -Thema entdecken, heucheln, dass  sie der Zustand der Pflege  in Deutschland schmerze.  Sie waren zum Teil lange in einer Koalition, sie haben wieder und wieder Pflegediskussionen geführt. Haben Pflegereformen verabschiedet und die Beiträge zur Pflegeversicherung gesteigert. Und nun plötzlich argumentieren sie, als ginge sie die ganze jahrelang nicht wahrgenommene Verantwortung gar nichts an und verweisen auf Versäumnisse, die sie selbst verursacht, zumindest jedoch verantwortet haben, als solche des politischen Herausforderers.

Diese Heuchelei ist nicht zu überbieten und nicht zu ertragen. Ebenso sind es nicht die Potjomkinschen Dörfer, die für den Fall eines Wahlsieges vorgegaukelt werden:

Bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte, mit Hilfe welcher gesetzlichen Regelung?

Zusätzliche Pflegekräfte, woher? Erinnert sei nur an das Pflegeberufegesetz. Es soll die Ausbildung jungen Nachwuchses revolutionieren. Von niemandem in der jetzigen verabschiedeten Form gewollt und Gott sei Dank auch noch nicht in der Praxis zum Einsatz gekommen.

Höhere Bezahlung, durch wen?

Alle Defizite sind lange bekannt, schon Jahrzehnte. Personal?

Schon heute arbeiten in der Pflege berufsfremde Kräfte, verschleißen sich in einem der wichtigsten Bereiche unseres Solidarsystems, weil sie nicht ausgebildet sind für diese Tätigkeit ja nicht einmal in Kurzlehrgängen qualifiziert wurden.

Die Pflege liegt, trotz dass sie eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, zumeist in Händen privater Unternehmer, die eine ungeheure Gewinnmaximierung betreiben mit dem Ergebnis, steigender Pflegebeiträge, Ausbeutung von Pflegekräften und unzureichender Betreuung der Pflegebedürftigen.

Schon heute wissen alle Beteiligten um die jeder Vorstellung von guter Arbeit widersprechenden Arbeitsbedingungen mit Zeit- und Leistungsdruck, mit fehlender betrieblicher und gesellschaftlicher Anerkennung, mit zutiefst menschlichen Konflikten zwischen Pflicht und Möglichkeit einer kultursensiblen Pflege.

Nichts Neues, nur Getöse!

Was wird nach der Wahl kommen?

Erhöhung der Pflegekassenbeiträge, Einstellung oder Blitzqualifizierung nichtqualifizierter und auch nichtqualifizierbarer Kräfte, weitere Bürokratisierung unter dem Mantel einer angeblichen Qualitätssicherung, Lobbybedienung der Pflege- und Pseudo – Qualitätsmafia.

Was wir brauchen, was die Betroffenen, ihre Familien und die Pflegenden brauchen ist ein durchgängiges, solidarisch und steuerlich finanziertes Konzept zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit und zur Humanität in der Pflege, für die Pflegebedürftigen aber ebenso für die Pflegenden. Dies ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die betriebswirtschaftlich ausgewogen, im wesentlichen unter Einsatz von Steuermitteln gelöst werden muss. Sie dürfen keinen Raum lassen für Bereicherungsgelüste oder gar für die Stärkung mafiöser Strukturen. Das Geld ist vorhanden, es muss den Bedürfnissen der Betroffenen, der Pflegeeinrichtungen, der Pflegenden und der Rehabilitation bei drohender und bestehender Pflegebedürftigkeit eingesetzt werden.

Diese Aufgabe muss mit den Betroffenen, mit ihren Angehörigen, mit   Interessen- und Sozialverbänden gelöst werden.

Die Politik, gleich welcher Couleur, muss uns nicht versprechen, hier aktiv zu werden. Sie ist durch unser Grundgesetz dazu verpflichtet. Sie muss uns sagen, warum sie dies bisher nicht in ausreichendem Maße umgesetzt wurde und bis wann sie diese Aufgabe gelöst haben wird.

Pflege darf nicht zum Wahlkampfthema verkommen!

 

Quelle:  Dr. med. Helmhold Seidlein Landesvorsitzender SoVD Mecklenburg – Vorpommern

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